Honorable Mentions
Lagwagon – „Railer“
Kurzweiliger Spaß und mit dem zwischen Selbstreferenz und Selbstparodie schwankendem „Bubble“ ein sicherer Kandidat für alle selbstgebrannten Best-Of-CDs (haha), aber in Summe zu angestaubt.
Cokie The Clown – „You’re Welcome“
Cokie alias Fat Mike alias Mike Burkett mit seinem niederschmetterndem Solodebüt. Musikalisch interessant und teils wirklich einfallsreich, zelebriert hier ein Urgestein des Punkrocks seine hässliche Nabelschau. Ich bin über jedes Jahr froh, dass er noch schafft.
Deutsche Laichen – „Deutsche Laichen“
Pöbelpunk mit ohne Attitüde aber mit Aussage. Hält der „Szene“ und jedem anderen den vollgespuckten Spiegel vor. Wichtig und gut.
Mercy Union – „The Quarry“
The Gaslight Anthem mit noch weniger Punk aber mit guten bis tollen Songs. Bedient mein spärliches Verlangen nach Americana vollkommen.
Chiefland – „Wildflowers“
Beachtenswertes Debüt einer deutschen Band, die man getrost irgendwo zwischen Defeater und Listener verorten kann.
The Get Up Kids – „Problems“
(Beinahe) zurück zu alter Stärke. Ein rundum gefälliges Album voller Powerpop und eben mit der Stimme von Matt Pryor.
Wear Your Wounds – „Rust On The Gates Of Heaven“
Musikalisch wesentlich wuchtiger als das Debüt, aber emotional lange nicht mehr so packend. Trotzdem: Das spannende Projekt von Jacob Bannon ist nun eine vollwertige, ernstzunehmende Band.
Shoreline – „Eat My Soul“
Eine späte Antworten Münsters auf den Holzfällerhemdpunkrock. Aber auch Jimmy Eat World’s „Futures“ scheint ab und an im Proberaum gelaufen zu sein. Absolut runde Sache, klingt auch angenehm „undeutsch“, kmowimsayin?
Top Ten
10.
Joey Cape – „Let Me Know When You Give Up“
Lagwagon bringen ein neues Album raus, aber in der Top 10 steht das Soloalbum von Joey Cape? Ne, hätte ich mir vorher auch nicht geglaubt. Trotzdem hat mich „Let Me Know When You Give Up“ von Beginn an mehr begeistert als die neue von Joey’s Hauptband. Verrückt. Dabei macht er auf seinem schon vierten Solodingens nichts überraschend neu. Aber seine einzigartige Stimme zu ruhigen Balladen (wie der titelgebende Einstieg oder das schöne „Andalusia“) lässt halt mein Herz aufgehen. Und auch mit voller Band und angezerrten Gitarre liefert er ab („Fighting Atrophy“).
[8/12]
Andalusia
Fighting Atrophy
9.
Jimmy Eat World – „Surviving“
Jimmy Eat World mit einer völlig überraschend experimentellen EDM-Platte. Quatsch? Quatsch. Jimmy Eat World halten jetzt seit acht Alben an ihrem strikten Dreijahres-Rhythmus fest und klingen so sehr nach Jimmy Eat World, wie man es eben erwartet. Auf „Surviving“ versammeln sie aber im Gegensatz zu den letzten Alben wieder viele wirklich schöne Songs. Schmissigen Rockern wie „All The Way (Stay)“ (samt Saxophonsolo) stehen Träumerein wie „Recommit“ entgegen. Und mit „555“ findet sich dann tatsächlich ein elektronischer Synth-Pop-Song, der zwar ungewöhnlich klingt, aber mit ausladendem Refrain überzeugtt. Ansonsten machen die Texaner eigentlich gar nichts neu, aber alles eben so gut, wie vielleicht seit „Futures“ nicht mehr. Und wenn Jim Adkins singt, dann bewegt sich halt etwas im Herzen. Isso.
[8/12]
555
All The Way (Stay)
8.
Earth Moves – „Human Intricacy“
Ein schwer walzender Brocken von einem Album. Das ist wohl am ehesten Post-Metal, der das Tempo nur ganz selten mal anzieht („Other Voices, Other Rooms“), ansonsten aber mit der Wucht und der Geschwindigkeit eines Bulldozers alles plattwalzt. Trotzdem bricht ab und an mal der wolkenverhangene Himmel auf und etwas Licht flutet die Szene, die am Anschluss direkt wieder von der Apokalypse überrollt wird („Catatonic“). Fett, im besten Sinne.
[9/12]
Catatonic
7.
Strung Out – „Songs Of Armor And Devotion“
Die kalifornischen Skatepunklegenden gewinnen das inoffizielle Battle mit ihren kalifornischen Skatepunklegendenkollegen einigermaßen deutlich. Strung Out schaffen es nämlich im Gegensatz zu Lagwagon, ihren Trademarksound auch 2019 angenehm frisch und nicht angestaubt klingen zu lassen. Die Kalifornier (was sonst?) liefern gewohnte Spielfreude und sonnigstes Doppelgitarrengeschrubber, sind produktionstechnisch auf Höhe der Zeit und haben einfach den höheren Coolness-Faktor. Punkt.
[9/12]
Ulyssess
6.
Defeater – „Defeater“
Defeater haben vor etwas mehr als zehn Jahren mit ihren ersten Veröffentlichungen große Wellen geschlagen (Zwinkersmiley), danach hat sich ihr Storytelling-Hardcore aber zusehends abgenutzt. Ausgefranzte Story, musikalisch vorhersehbar und wenig mitreißend waren die letzten zwei Alben. 2019 jedoch wirkt die Band nach internen Turbulenzen (Substanzmittelmissbrauch, Streitigkeiten, Ausstieg von Jay Maas) frisch wie in den Anfangstagen. Die Kompositionen sind mitreißend, die Produktion angenehm schmutzig und besonders Drummer Joe Longobardi macht hier einen Ausnahmejob. Atmosphärisch verdichteter und auf den Punkt gespielter Hardcore, meistens schleppend („Desperate“), manchmal treibend („No Guilt“).
[9/12]
Desperate
No Guilt
5.
Frail Body – „A Brief Memoriam“
Nennt es Screamo, nennt es Skramz, nennt es Powerviolence – mir egal. Frail Body hauen Anfang November ein maximal intensives Album raus, dass in weniger als 22 Minuten alles sagt, was gesagt werden muss. Was Frail Body so besonders macht, ist erstens der anscheinend völlig dem Wahnsinn verfallene Drummer und zweitens ein für diese Schublade beinahe unheimliches Gespür für großartige Melodien. Das macht diesen hässlichen Brocken Verzweiflungscore nämlich erstaunlich verdaulich.
[9/12]
Pastel
Cold New Home
4.
SeeYouSpaceCowboy - „The Correlation Between Entry And Exit Wounds“
Wäre die Platte hier zwischen 2001 und 2004 erschienen, die Band mit dem gewöhnungsbedürftigen Namen wäre mit Sicherheit durch die Decke gegangen. Leicht frickeliger Metalcore mit der perfekten Balance zwischen purem Wahnsinn und wärmender Melodie, irgendwo zwischen alten As I Lay Dying und noch älteren Poison The Well und allem, was damals noch so angesagt war. Manchmal an der Grenze zur Genreparodie (Songtitel, Aufmachung, Songwriting, alles), aber zu mitreißend und für 2019 zu erfrischend, um nicht zu begeistern.
[9/12]
With High Hopes And Clipped Wings
3.
American Football – „American Football (LP3)“
Album Nummer 3 der Meme-gewordenen Twinkle-Legende, jetzt mit zwei von drei Kinsellas. Für die einen ist ihr Wellness-Emo einschläfernde Langweile, für die anderen im allerbesten Sinne zurückgenommene Wohlfühlmusik. Hier kann man ganz tief eintauchen und sich sanft einlullen lassen. Gleichzeitig war und ist besonders die Rhythmusfraktion immer perfekt auf den Punkt und seit nun mindestens zwei Alben ist auch die Produktion perfekt. „Silhouette“ gibt den überlangen Anfang und verbreitet kurz etwas düstere Stimmung, danach aber herrscht Wohlklang vor. Man höre sich nur das umwerfend schöne „Heir Apparent“ an (samt schmeichelnden Chorus-Outro). Oder den verträumten Rausschmeißer „Life Support“, der auch auf dem legendären ‘99er Debüt gestrahlt hätte. Mike Kinsella bekommt auf dem Album übrigens drei Mal weibliche Unterstützung am Mikro, was in allen drei Fällen hervorragend funktioniert. Überhaupt gibt es hier an jeder Ecke eine Menge zu entdecken, wenn man nur genau hinhört (und nicht vorher einschläft).
[10/12]
Heir Apparent
Life Support
2.
Greet Death – „New Hell“
Zwei kauzige Typen veröffentlichen ohne Vorwarnung im November auf Deathwisch, Inc. ein Album, das aufgrund von Bandnamen, Albumtitel und Label eigentlich kratzbürstigstes Geballer sein müsste, einen aber stattdessen mit herzzerreißendem Indiefolkemogaze einlullt. 48 Minuten voller melancholisch-kaputter Atmosphäre. Nie klang Nihilismus schöner. Dieses Album berührt etwas ganz tief drin, auf das man nicht mit dem Finger zeigen kann. Aber es fühlt sich richtig an. Das Doppel aus „Let It Die“ und „You’re Gonna Hate What You’ve Done“ bleibt 2019 unerreicht.
[10/12]
Let It Die
You‘re Gonna Hate What You’ve Done
1.
State Faults - „Clairvoyant“
Die Kalifornier sprangen ohne jede Vorwarnung aus dem Post-Hardcore-Gebüsch und nutzten den Überraschungseffekt, um mit ihrem transzendentalen Screamo zu überrumpeln. Dabei reicht dem Trio schon das eröffnende „Dreamcatcher, Pt. II“, um bereits vollends zu überzeugen. Sie fackeln dann trotzdem noch zehn weitere Granaten ab, die zwischen Raserei und sphärischen Parts changieren und immer wieder mit kniefallwürdigen Melodiebögen begeistern. Wie „Cemetery Lights“ als Gegenpart zum genannten „Dreamcatcher, Pt. II“ das Album in den Äther entschweben lässt, ist ganz großes Gefühlskino. Believen Sie den Hype, bitte.
[11/12]
Dreamcatcher, Pt. II
Cemetery Lights