The Blacktop Cadence - "Chemistry For Changing Times"
Zunächst der Reißer:
In einer gerechten Welt würde man “The Chemistry For Changing Times” in einem Atemzug nennen mit “Diary” und “Do You Know Who You Are?” nennen.
Differenzierter:
Ich bin mir nicht mehr so wirklich sicher, wann genau ich die Band und diese Platte zum ersten Mal gehört habe. Es muss so rund um 2008 gewesen sein, da mein bester Kumpel (und größter HWM-Fan) im Jahr zuvor verstorben war und ich die Platte definitiv erst danach entdeckt hab. Vermutlich beim Stöbern im Green Hell (Katalog, nicht Ladengeschäft). Wobei wohl schon die Namen der Mitglieder für den Kaufimpuls ausgereicht haben dürften.
The Blacktop Cadence waren (sind?) eines der unzähligen Nebenprojekte von Chris Wollard (hauptamtlich zweites Reibeisen und Gitarrist bei Hot Water Music), verstärkt durch George Rebello am Schlagzeug (sonst auch HWM) und Jack Bailey an der Gitarre sowie Heather Parker am Bass (beide Baroque). In dieser Besetzung ist 1997 das einzige Album entstanden, also ungefähr zur gleichen Zeit wie die HWM-Frühwerke „Fuel For The Hate Game“ und (mein Lieblingsalbum) „Forever & Counting“.
Im Gegensatz dazu ist „The Chemistry For Changing Times“ wesentlich ruhiger und andächtiger. Das Album nimmt sich viel Zeit für die einzelnen Songs. Das wird schon beim Opener „Last Night... After I Bought The Wine“ deutlich: Die nur ganz leicht angezerrte Gitarre spielt eine leise Melodie, während ein paar Takte später Bass und Schlagzeug bedächtig dazukommen. Es vergehen zwei Minuten, bis Chris das erste Mal singt, wenig später öffnet sich der Song in den „Refrain“ (mit lauteren Gitarren, aber immer noch Downtempo). Zwischendrin wieder ein Break zum instrumentalen Spannungsaufbau, (ein Merkmal, das frühere HWM-Sachen so großartig macht; einfach mal mitten im Song melodische Instrumentalpassagen mit wunderschönen Gitarren, sowas hat die Band leider nach der „Moonpies For Misfits“-EP so ziemlich komplett aufgegeben), bevor nochmal zum großen, zweistimmigen (aber nie übermäßig gebrüllten) Refrain angesetzt wird. Die ersten fünf Minuten sind schon um.
„Slowstep“ im Anschluss baut sich ganz ähnlich auf: Getragener Versteil mit wunderschönem Gitarrenpicking, Spannungsaufbau, treibender Refrain, danach wieder langsamer Aufbau und lauterer Refrain, nur um dann wieder erst ganz leise zu werden und den Song einfach mal rein instrumental ausklingen zu lassen. Das ist natürlich das konventionelle Laut-/Leise-Spiel, nur eben sehr gut umgesetzt und prägend für das Album.
Mit „Off-Track“ geht es etwas scheppernder weiter, „Are You My Angel?“ hat diese Gitarrenmelodien, die Alphex wohl als „sehnend“ bezeichnen würde. „Forty-Two“ kann man als instrumentales Interlude bezeichnen, es gibt sogar kleine Elektrospielereien.
Das nächste Highlight folgt mit „Sinker“. Poppiger Einstieg, kurze Bremse, wieder poppig, dann großer, weiter Refrain. Herrlich. Aber halt, nur angedeutet, denn ganz heimlich schleicht sich eine Violine ein, während sich alle anderen immer weiter zurücknehmen, bis der Bass sich verabschiedet und das Schlagzeug nur noch eine Marschtrommel spielt, welche die Violone bis zum Ende begleitet. Ganz, ganz großes Emokino.
Danach wird es mit „I Don’t Do Well In Social Situations“ etwas sperriger, nur um danach den einen ganz großen Hit abzufeuern: „Sad Passing Shame“ hätte auch wunderbar auf ein HWM-Album gepasst und beweist mehr als alle anderen Songs, wer bei der Hauptband wirklich für das superbe Songwriting verantwortlich ist. Hier gibt es treibende Gitarren, großartige, zweistimmige Harmonien und sogar so etwas wie einen Breakdown. Und natürlich wieder diese Sorte instrumentale Bridge, in der sich alle zurücknehmen und diese Gitarren diese puren, unverfälschten Emomelodien spielen, langsam lauter werden und zum Finale ansetzen. „Kannste gar nicht besser machen, isso“ würde Shitty sagen.
„Station Me Wherever“ ist etwas unauffälliger, „Unlucky“ darf das Album rein instrumental mit allen Trademarks (laut/leise, Violine, Trommel, alles nochmal da) mehr als würdig abschließen.
Wer bis hierhin gekommen ist, hat nun eine viel zu lange Beschreibung dessen gelesen, was dieses Album eigentlich darstellt: Die Quintessenz von der Sorte Emo, die gerne auch mit „Midwestern“ getaggt wird. Aber auch das sind unzulängliche Begrifflichkeiten. Es ist eine Frechheit und für mich absolut unverständlich, warum dieses Album immer so ein Geheimtipp geblieben ist. Wahrscheinlich, weil die Hauptband einfach zu präsent war.
Um die reißerische Zeile vom Anfang nochmal aufzugreifen: Wer Sunny Day Real Estate und Texas Is The Reason liebt, bei dem sollte auch The Blacktop Cadence voll ins Herz treffen. Die drei Bands sind zwar ziemlich heterogen im Klang, für mich aber alle auf einer Stufe.
Interessierte sollten das Album am besten komplett (vielleicht sogar mehrmals) durchhören, da der Albumaufbau zu wesentlich für das Hörerlebnis ist:
Alle anderen sollten sich wenigstens den Hit gönnen und angefixt werden:
The Blacktop Cadence - "Sad Passing Shame"