Swans, Volksbühne Berlin.
Ich bin soeben zurückgekehrt und stehe noch sehr unter dem Eindruck des Konzerts. Quatsch, das war kein Konzert, das war ein Trip, Ekstase, Massenekstase. Ein Ritt durch die Abgründe der Seele. Eine Huldigung aller transzendenten Wesen im Äther. Eine Reise ins Ungewisse, die viele nach anderthalb Stunden in Anbetracht der Erkenntnis der eigenen dunklen Tiefen und des fortwährenden gewaltigen Angriffs auf die Trommelfelle abbrachen.
Ich bin vollkommen fertig. Vielleicht schaffe ich es mit einem ausführlicheren Bericht in den nächsten Tagen.2006heino, 29.05.2013 00:21 #
Auch wenn ich es bereits in diesen knappen Sätzen zusammengefaßt habe, versuche ich es noch einmal mit ein paar Worten mehr …
Die Volksbühne war an diesem Abend bestuhlt. Für manche Konzertabende werden die Sitzreihen auch entfernt – heute nicht, was auch ganz gut war. Im Stehen hätte ich das Konzert wohl nur mit Mühe durchgehalten. Gleichwohl forderte der Kopf von Swans, Michael Gira, nach dem ersten Song die Zuschauer auf, sich vorne vor die Bühne zu stellen. Dies führte dazu, daß sich eine Traube vor der Bühne bildete und die Leute aus den ersten Sitzreihen nun auch aufstehen mußten, während die übrigen Zuschauer weiter hinten saßen …
Okay, zurück zum Thema:
Zunächst spielten „Larsen“, eine mir bis dato unbekannte Band. Zur Band kann ich nicht viel sagen. 4 Musiker und 1 Sängerin, die anscheinend aus der Karibik (Haiti, Puerto Rico?) stammt. Zumindest ihr Erscheinungsbild mit dem Hauch einer Voodoo-Priesterin ließ darauf schließen. Sie hatte eine schöne, tiefe Stimme, die den eher langsamen Songs einen Tiefgang verlieh. Musikalisch läßt sich der Stil nur schwer beschreiben – irgendwie zwischen Indie, Americana, Postrock und ein bißchen Jazz. Nun ja, die 4 instrumentalen Songs in Abwesenheit der Sängerin gefielen mir persönlich deutlich besser, waren härter und orientierten sich am derzeitig „gängigen“ Postrock.
Gegen 21.20 Uhr betraten dann die 6 Bandmitglieder von Swans für ihre zweistündige Messe die Bühne. Von der ersten Note an war Michael Gira präsent und schien sich selbst und seine Mitstreiter in Ekstase zu peitschen. Per Handzeichen und wilden Blicken wurden die Bandkollegen angewiesen. Bereits im ersten Stück giftete er den Bassisten an, weil ihm irgendeine Spielweise nicht gefallen zu schien. Dazu kam auch eine improvisierte Sequenz, die Gira per Handzeichen „anzuordnen“ schien, und der die irritierten Mitstreiter mit der gebotenen Vorsicht nachkamen.
Vielleicht mußte dies auch so sein, um die Band und die Zuschauer für den Trip einzunehmen, dessen Sogwirkung man sich nach einigen Minuten nicht mehr entziehen konnte. Und man wurde von Minute zu Minute tiefer in den Strudel hinabgezogen. Ein entrückter, ekstatischer Anführer, seine 5 Jünger und das Publikum, ungläubig, verwirrt, begeistert, durch die Gefühlswelten von etwa 6 Songs (nur einer vom aktuellen Album) treibend, tief in die eigenen Seelen blickend. Niemand konnte sich diesem Ritt entziehen. Der Gordische Knoten, der die Zuschauer umschlang, konnte nur durch persönlichen Entzug aus der Konzerthalle zerschlagen werden. Je tiefer die Musik vordrang, umso mehr Menschen drängten nach vorne – entweder vor die Bühne oder zu den Ausgängen. Denn auch die Lautstärke nahm mit jedem Song zu. Immer wieder trieb Gira seinen Mann am Mischpult an, einzelne Tonabnehmer aufzudrehen und die PA hochzufahren. Ein brutaler Angriff auf die Gehöre der Zuschauer, auf ihre Gefühlswelt, auf ihre Sinne und Nerven. Ekstase durch ständige Wiederholung der Beats und Riffs, kulminierend in garstigen Ausbrüchen.
Es war ein Trip auf der Droge Musik, eine Reise durch die Täler des Daseins, Selbstgeißelung und Huldigung des Transzendenten. Nach diesem Abend darf man eigentlich kein Konzert mehr besuchen ...
PS: Obgleich ich zumindest meine Ohren verstopft hatte, wurden die Einschläge aufs Trommelfell immer heftiger. Und auch nach 2 Tagen verspüre ich noch einen leichten Schmerz im Ohr …
Von Gira sagt man, er sei bereits taub. Auch der Bassist hat wohl der Musik seinen Tribut gezollt. Als er vor mir hinausging, waren zwei kleine Hörgeräte hinter den Ohren zu sehen. Und der Pianist, im übrigen Deutscher, dem ich noch bei seiner Zigarettensuche im U-Bahnhof begegnete, äußerte, daß unter den 2 Stunden direkt neben der Box sehr zu leiden hatte.