1996 wartete ich vor allem auf ein Album! Ten, Vs. und Vitalogy sowie ein grandioses Live-Bootleg hatten mich derart angefixt, dass Pearl Jam schon damals meine absolute Lieblingsband war. No Code sollte das neue Album heißen und es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich auf das Veröffentlichungsdatum eines Tonträgers wartete. Folgerichtig kaufte ich das Album am ersten Tag und freute mich schon bei der Fahrt nach Hause über die tolle Verpackung, rätselte um die Bedeutung der beigelegten Polaroids.
Zuhause angekommen legte ich die CD in den Player und konnte es kaum erwarten, die Songs zu hören. Was ich zu hören bekam enttäuschte mich irgendwie. Zwar haben sich Pearl Jam von Album zu Album verändert, doch was ich damals beim ersten Hören wahrnahm war spröde, irgendwie sperrig und ließ dieses Hymnische vermissen, was ich so geliebt habe. Leichte Enttäuschung machte sich breit. Ich versuchte es immer mal wieder, aber der Durchbruch kam dann etwas später in einem Urlaub mit Freunden.
Dort teilte ich das Zimmer mit einem Uni-Kollegen, wir waren insgesamt aber 6 Freunde auf Cala Ratjada. Vor dem Urlaub nahm ich mir eine Kassette auf: Seite A beherbergte die besten Songs des Live-Bootlegs und Seite B fast das gesamte Album (einen Song musste ich weglassen, um auf 45 Minuten zu kommen). Und ich hörte diese Kassette rauf und runter. Im Nachhinein betrachtet tut es mir schon etwas leid, denn mein Zimmergenosse bat mich innerhalb dieser zwei Wochen mehr als einmal, doch auch eine andere Kassette zu hören.
Smile war mein erster Ankerpunkt, mit dem ich mir das Album erarbeitete und tatsächlich das einzige Stück, das mich schon beim ersten Hören aufhorchen ließ. Ein Stück, das auch von Neil Young kommen könnte, geprägt von kratziger Gitarre und Mundharmonika. Obwohl ich eigentlich nicht viel für Mundharmonika übrig habe, passt sie perfekt in diesen Song. Eddie Vedder zetert leicht herum, zelebriert fragend seine Unsicherheit ("Don't it make you smile?"), bis die Erkenntnis, Gewissheit und Erlösung mit großer Geste zelebriert wird: "I miss you you already, I miss you always". JEDES MAL, wenn der letztgenannte Teil einsetzt, geht mir das Herz meterweit auf.
Das folgende Off He Goes ist ein ruhiger, wunderbarer Song über einen unruhigen Geist. Vedders Stimme ist ganz samtig und passt zur unglaublich warmen Instumentierung. Dass die Band und auch Vedder anders kann zeigt Habit. Habit ist ein kurzer und lauter Brecher, in dem Vedder sich seine Samtstimme von eben wieder rau singt.
Erstens merke ich gerade, dass ich nicht gut bin, einzelne Songs im Detail zu beschreiben und ich zweitens so dem Album als Gesamtkunstwerk (und das ist es definitiv) nicht gerecht werde. Daher lasse ich das, will aber zumindest noch einen Song hervorheben, der selten in irgendwelchen Bestenlisten auftaucht: Mankind wurde geschrieben und gesungen von Stone Gossard. Wer seine Solo-Alben oder auch seinen Buddie, den massiv unterschätzten Pete Droge kennt, der kann den Sound ganz gut einordnen. Mankind ist der letzte schnelle Song, bevor es für die letzten beiden Songs wieder bedächtig wird.
Insgesamt klingt No Code deutlich mehr live eingespielt, als die Vorgänger. Der im Vergleich zu den Vorgänger-Alben etwas spröde und eckige Sound, der mir das Album am Anfang etwas verhagelt hat, bringt mich mittlerweile immer wieder zurück. Vermutlich ist No Code sogar das Album, das ich über die Jahre am meisten gehört habe und dass, obwohl es weder meinen Lieblingssong beinhaltet (der befindet sich auf Vitalogy) und auch selten live gespielt wird. Höre ich die ersten leisen und leicht verhuschten Töne des Openers Sometimes, weiß ich, dass gute 45 Minuten warme, mal leise, mal laute Musik vor mir liegen, die mich so sehr berühren, wie sonst nicht viel. Ich liebe jedes Pearl Jam-Album, doch No Code wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Was mich angeht, ist es das Album, mit dem sich Pearl Jam endgültig freigeschwommen haben. Der Vorgänger Vitalogy war mit seinen 2 bis 3 nur schwer erträglichen Soundexperimenten sicherlich ein Auflehnen gegen den Hype, den die Band zu der Zeit auslöste, aber No Code war abwechslungsreicher und homogener als alles zuvor. Wer sich mit der Band beschäftigen möchte abseits der ausgetretenen Ten-Pfade, der sollte No Code eine Chance geben. Oder vielleicht auch mehr als eine Chance, bis es endlich klickt. Mir ging es ja nicht anders…