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Platten

Dekaden-Charts - die Neunziger

Jack Crabb
Public Enemy - Fear of a Black Planet 1990, Def Jam
Der Grund, warum ich mich überhaupt für HipHop interessiert habe.Woas Sois..., 14.05.2020 18:22 #

Woas haut ne Public Enemy raus. Famos famos.
Absolutes ÜberalbumAmano, 14.05.2020 21:01 #
Unterschreib ich so. :smile:
Donnerjakob
Bei "hässlichen" Klängen möchte ich noch seine Stimme hinzufügen. Er singt ja absichtlich meistens hässlicher, als er kann. Wer mal sein Debüt gehört hat, kann das bezeugen. Ich halte Waits für einen großen Künstler, aber ich kann sein Werk immer nur in geringen Dosen konsumieren.Olsen, 14.05.2020 22:15 #

Ich mag die Stimme von Bob Dylan oder die von Neil Young auch nicht, weswegen der Zugang zu ihren Werken wohl für ewig für mich verschlossen bleibt. In gewisser Weise ist es wie bei Louis Armstrong, Howlin' Wolf oder Jimmy Scott: Ein musikalisch reduzierter Gebrauch ihrer Stimmen, rau, aber dennoch gefühlvoll - jedes gesprochene Wort jede Sekunde weiß mich zu erreichen. Ab Small Change hat Waits diese beschriebenen Fähigkeiten ähnlich zu seinen Markenzeichen gemacht; ich finde, er klingt damit sehr "echt" und im Leben gibt es nichts richtiges im falschen.
Crackerman
I can't dance.Woas Sois..., 13.05.2020 16:37 #

eines meiner absoluten hasslieder der 90er.-pmh-, 13.05.2020 16:58 #

Ich spiele im Team Woas. Eines der tollsten 90er Lieder. Allein Rutherfords Gitarrensound ist da sowas von geil :bow:.
Donnerjakob

Boards of CanadaMusic Has the Right to Children (1998)

#9

Es gibt ja noch die Alben, die einen zum ersten mal ein neues Musikgenre eröffnet haben. Sozusagen ein Flugticket zu einem neuen Kontinent sind. Als ich diese Platte einem mittellosen Studenten der Geld brauchte abkaufte, konnte ich ja nicht ahnen, worauf ich meinen Finger zu Erkundungstiefen der Musiklandkarte legte. Das schottische Geschwisterduo Boards of Canada evozierte diese Celluloid-Reise – sie versetzten uns in die glückliche Stimmung, die man beim anschauen alter, mit Farbflecken gesprenkelter Homevideos oder beim blättern in einem Familienfotoalbum voller vergilbter Schnappschüsse bekommt. Es ist, als würdest du erleben, wie die eigenen schönen Erinnerungen an deine Kindheit verblassen.
Dass herausragendste Stück ist für mich in vielerlei Hinsicht Aquarius in der zweiten Hälfte der Platte. In dieser Nummer kommen der Bass aus dem gleichnamigen Eröffnungsstück des Musicals "Hair" mit seinem charakteristischen Slap-Part und die Stimmen aus einer didaktischen Sesamstraßen-Sequenz zum Einsatz – Erwachsene und Kinder sprechen darin immer wieder Worte wie "orange" oder "Yeah, that’s right!" aus, vermutlich um die richtigen Anwendungsfälle zu erlernen –, ohne dass diese Collage auch nur im Entferntesten dämlich klingen würde. Vielmehr ist es einer der Höhepunkte dieses patinierten Sounds.
Dann dieses kryptische Cover mit Menschen, in blässlichen Grüntönen, deren Gesichter wie ausradiert sind. Platzhalter für echte Menschen oder luzides Denken. BoC umhüllte unser geistiges Auge mit einem Schleier, dazu passend eine wirre und hohle Rhetorik im Titel: "Music Has the Right to Children". Über ein Buch wurde einmal treffend bemerkt, "dass es sich nicht lesen lässt". Es gibt Geheimnisse, die sich nicht aussprechen lassen. Doch so viel soll zu diesem Album gesagt sein: Es ist zu jedem Zeitpunkt transzendent, surreal, eindringlich, und mysteriös, eine Flut emotionaler Wärme, die oft in Musik verloren geht, die in elektronischen Formen verwurzelt ist.
-pmh-
Boards of CanadaMusic Has the Right to Children (1998)Donnerjakob, 16.05.2020 20:17 #



wenn ich das album nicht schon kennen würde dann spätestens jetzt. da kann wer bilder im kopf mit worten malen.
tolle geschichte zu einem schönen album, ich komm mir da mit meinem geschreibsel wie ein erstklässler vor...
Crackerman
Stimmt, mich hat es auch neugierig gemacht und ich habe mir Aquarius angehört. Allerdings bin ich dafür dann doch keine Zielgruppe.
Amano
Toller Text Mr Donner :thumbsup:
eigenwert
Sorry.
Eigentlich sollte es jetzt mal mit meiner Liste weitergehen, hatte ich heute auch vor.
Die Liste steht auch schon, aber für den ganzen Rest brauch ich wohl mal ne Krehaartivpause .
Einfach so schnöde runtertippen möcht ich auch nicht.
Go Ahead Eagle
Boards of CanadaMusic Has the Right to Children (1998)Donnerjakob, 16.05.2020 20:17 #


Das liest sich mal wieder alles sehr gut und interessant.
Höre ich Aquarius, hast Du auch nicht zu viel oder falsches versprochen.
Aber irgendwie hab ich mir was anderes vorgestellt.
Donnerjakob

SpiritualizedLadies and Gentlemen We Are Floating in Space (1997)

#10 #number one #greatest rock band


Erinnert ihr euch an den Sommer 1997 und an unseren kurzen Aufenthalt in Camelot?

Nun, das sollte ein blöder Witz über Nostalgie sein, aber für die meisten Musikfans eines bestimmten Alters und einen bestimmten zartem Empfinden, ist es vielleicht ein bittersüßer Witz. 1997 ist das Jahr von Radioheads OK Computer, Björks Homogenic, Elliott Smiths Either/Or, Erykah Badus Baduizm, Godspeeds F#A#?, Daft Punks Homework, Blink-182's Dude Ranch, Nick Cave and the Bad Seeds The Boatman’s Call, The Prodigys The Fat of the Land, Foo Fighters The Colour and the Shape, Mogwais Young Team, Deftones Around the Fur, The Verves Urban Hymns, Wu-Tangs Wu-Tang Forever und Primal Screams Vanishing Point. Es war das Jahr, als die Welt noch die Romantik kannte, bevor Musik vorhersehbarer und kodifizierter wurde, als sie populärer wurde. Dass Internet würde bald auftauchen und jeden zu einem sofortigen Experten machen. Um unsere Vorstellung von historischen Erzählungen zu überprüfen, zerlegte man noch die gesamte Geschichte der Popkultur in einen unendlichen Würfel und musste die Einzelteile jeder Ära wieder mühselig zusammenführen. Diese Zeit und die Romantik von der ich rede ist jetzt wohl Geschichte. Romantisch war die alte Welt und wir werden das so nicht mehr bekommen, wenn nicht eine Tragödie zuschlägt. Wir haben jetzt weniger Tragödien und Verluste. Das Problem mit Kindern ist heute, dass sie keine Probleme haben. Wir sind so sehr mit dem Internet und mit Handys verbunden und haben die Antwort auf alles bereits in der Hand. Es gibt kein Geheimnis mehr – es starb mit verzweifeltem Herzen und zugeschnürter Kehle um abscheulicher Geheimnisse willen, die nicht dulden, dass man sie enthüllt. Die Romantik ist tot und wir haben nicht mehr dieses unverbundene, das wir hatten, als ich aufwuchs – was ja in Ordnung ist. Das Todesrasseln der alten Welt und das alte romantische Empfinden für Musik sind verschwunden.
Kommen wir auf die Geschichte des Albums zurück. Jason Pierce, der Spritualized-Frontmann, hat alles in das dritte Album seiner Band gesteckt, denn er hatte Herzschmerz und herzschmerzbedingte Drogenanfälle, die wieder zu drogenbedingten Depressionen führten. Unbekümmert gesagt, ein Teufelskreis. Es ist ein offenes Geheimnis: "my girlfriend left me for the lead singer of the Verve, so now I have to shoot all this heroin." Vermutlich liegt da auch schon der Hund begraben, warum OK Computer heute das beliebtere Rock-Album ist. Dies klingt zugegebenermaßen banal, doch der Schmerz von Jason Pierce macht dieses Album zu einer wirklichen Offenbarung, denn jeder fürchtet sich vor der Einsamkeit. Geh einmal in eine psychiatrischen Anstalt oder eine Fabrik, setz dich in einen Bus oder eine Mensa. Überall siehst du Menschen, die unglaublich allein sind. Ich zittere richtig, wenn ich an all die Stimmen denke, die sich einsam erheben wie Angeln in der Luft, chancenlos. Und sie werden alt, körperlich alt und die Herzen bekommen Löcher wie ein altes Akkordeon. Ich habe nichts als Respekt vor Jason Pierces Arbeit, denn er hat das Wunder geschafft, für das man die Jahrzehnte davor viele Münzen in die Jukeboxen steckte. Jason Pierce hat sich gegen dieses wahllose Massaker erhoben: "Let's have a full orchestra in here to do this space rock shit", "Whatever junkie, let's do it". Die Verbindung von Rock'n'Roll mit klassischer Komposition - er war derjenige, der es wirklich geschafft hat, als man solche Platten noch machen konnte.
Ladies And Gentlemen ist im höchsten Maße pure Glückseligkeit. Als hätte man nach Wochen eine Grippe überstanden – allein schon zu atmen, ist eine Lust, und vieles von dem, was sonst eine Quelle des Missvergnügens ist, bereitet plötzlich Genuss. Jedes Element von Spiritualized ist erhaben: Free Jazz ("The Individual"), pulsierender Space Rock ("I Think I'm In Love"), Songs mit gebrochenen Herzen und Orchester-Pop ("Broken Heart") oder Shoegaze ("Stay With Me"). Dieses Album war immer dazu bestimmt, meine Nummer 1 zu sein.

Ladies and Gentlemen We Are Floating in Space sollte man in vollen Zügen hören, in einer Stimmung der schärfsten Aufnahmebereitschaft, wenn der Geist wie elektrisiert seine alltägliche Verfassung übertrifft wie das lebendige, erst dann macht man selbst die Erfahrung eines veränderten Zustands, – oder wie der Heroinhändler / -konsument im Film Rush sagte: "It’s like floating on a cloud of titties."

Der kurze Aufenthalt in Camelot war doch eigentlich ganz nett – nächstes Jahr mal wieder?
Go Ahead Eagle
Was für ein abgefahrener Text für ein sehr geiles Album.
Harry Gant
Ok für den Text packe ich wirklich mal den :bow: aus.
Nur Liebe und Zustimmung.
-pmh-
7

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moby - "play" (1999)

kleiner mann ganz groß. wütend. euphorisch. hüpfend. vermutlich will er einfach dass die sache mit "play" seinen lauf nimmt.
die querelen um den charismatischen (glatz)kopf mit der nerdigen brille mal außen vor, erschuf mr. moby mit album # 5 soetwas wie die quintessenz des slacker-edm: sprachsamples verwachsen mit southern blues, tieftraurige downtempohymnen korrelieren mit treibenden dancetracks, die dicken streicherwände dienen - wie unzählige gitarrenspuren - als sahnetopping, die zwar den sound in die breite ziehen - aber niemals im vordergrund stehen bzw. dem song die show stehlen wollen.
dafür sorgt moby himself - wer auf stolzen 18 tracks keinen einzigen ausfall zu verzeichnen hat, muss ja was können. oder? da "play" ein wahrhaft opulentes mahl querbeet durch verschiedene musikalische richtungen und stimmungen ist, will ich euch auch ein paar saftige rosinen auf den teller streuen: why does my heart feel so bad lockt zuerst mit taschentüchern unter die bettdecke, machete macht dich danach ready für die disco. "play" taugt als aufwärmprogramm für den samstagabend ebenso wie als intimes chilloutprogramm am lagerfeuer.
wie groß die popularität moby´s damals war, musste sogar rüpel eminem neidlos anerkennen - weil - verarsche ist ja immer auch ein bisschen ein zeichen von respekt: without me (ab 2:57!) lege ich auch heute noch mit einem grinsen im gesicht via youtube auf meine augen... "nobody listens to techno"? dann probiert es einfach mal mit moby.

Zuletzt geändert von -pmh-

eigenwert
Without Me ist nochmal Machete :klugscheiss: :messer: !
Go Ahead Eagle
Definitiv ein wichtiger Künstler mit einem wichtigen Album und wichtigen Hits der 90er.
Nur hatte ich damals schon Schwierigkeiten es am Stück zu hören und es hat sich bis heute eher verschlimmert.
Mir ist es 1. zu lang und 2. zu zerfahren.
Ne halbe Stunde wenig und mehr Konzentration auf die wesentlichen Hits und das Album wäre auch für mich perfekt.
Amano
Also Donnerjakobs Text macht mal Lust aufs Reinhören. Eine Band, deren Name ich stets lese, aber tatsächlich noch nie einen Ton von gehört habe.

@Peter:
die Singles (vor allem „why does my heart...“ wurden wie nix Gutes totgenudelt. Das allein hält mich davon ab da reinzuhören. Vermutlich verpass ich was, wie dein Text ja suggeriert, aber das nehme ich in Kauf wenn ich im Gegenzug diesem Song entgehen kann.

Und zu „without me“: Eminem lässt sich halt ungern einen ”a misogynist, a homophobe, a racist, and an anti-Semite.” (Zitat Moby Ende) nennen. War also weniger respektsbekundende Verarsche
-pmh-
6

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the chemical brothers - "surrender" (1999)

Kurze Alben sind ihr Ding nicht – The Chemical Brothers, das Soundtüftlerduo aus Manchester, entschweben auch auf ihrem dritten Studiolangeisen allen irdischen Konventionen und verknüpfen brachial-entrückte Lava/Sludgdesounds der Marke Neurosis, Mastodon (oder uralte Type O?) mit dem Postrockelement der Neuzeit – allen voran Mogwai bzw. stark verlangsamte Kylesa. Und wer hats gesignt ? Natürlich Virgin Records!
Einer bestimmten Ebene oder musikalischen Richtlinien folgen auch die elf erneut überbordenden Stücke nicht – vielmehr wirkt alles fordernd, emotionell aufgeputscht und grossteils experimentell bzw. intuitiv aufgestellt. Der beschwörende, teils auch aggressive Gesang zwischen Gut und Böse nimmt mithilfe der unkonventionellen Instrumentalabschnitte schon beim ersten Abschnitt eine Sogwirkung par Excellence ein - und - die tonalen Lärmwände inklusive der grobschlächtigen Gitarrenspuren wirken alles andere als gewollt zugänglich ... oder positiv aufs Gemüt.
Harmoniesüchtige Zeitgenossen dürften bei den hier vorliegenden nihilistischen Klangkaskaden die Hände über den Kopf zusammenschlagen, ihre kleine heile Welt überdenken und sich weiter ihren beliebig austauschbaren Gruppierungen hingeben – aber eines kann man dem Duo auf keinen Fall vorwerfen : den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Ihre Tonmonumente fordern stets vollste Konzentration und belohnen den Hörer, der die Gabe hat aus der mit Erde und Krabbeltieren bedeckten Zwiebel die verschiedensten Schichten abzuschälen und den inneren Kern freizulegen. Aber - auch dann ist beileibe keine wohlschmeckende Feldfrucht zu erwarten , sondern ein teils unzugängliches wie sperriges Etwas dass sich nach und nach in den Hirnwindungen festkrallt und diese mit komplexen Rhythmen und lasterhaften Gedanken überschwemmt . Durchhalteparolen und „der Weg ist das Ziel“-Sprechchöre begleiten einem von der ersten Sekunde an, sind aber genauso lächerlich wie der Versuch dem ganzen Album rational beizukommen: hier wird nicht mathematisch gegabelt , sondern gelebt, gearbeitet und gefühlt !

?????????????????

Hahaha. Reingelegt! :jester:
natürlich ist "Surrender" weder "böse" noch die Bohne Metal, sondern psychedelisch wabernder Break- und BigBeat, der öfter mal in die Technodisco schielt - Hey Boy Hey Girl ist auch heute noch unfassbar intensiv wie eingängig; Under the Influence ein süchtig machender Elektronikbatzen. Für mich immer noch ihr bestes Album; live sind TCB allerdings noch eine Spur großartiger.
-pmh-
Und zu „without me“: Eminem lässt sich halt ungern einen ”a misogynist, a homophobe, a racist, and an anti-Semite.” (Zitat Moby Ende) nennen. War also weniger respektsbekundende VerarscheAmano, 19.05.2020 10:35 #



oha. davon wusste ich nichts. wieder was gelernt.
Jack Crabb
moby - "play" (1999)-pmh-, 19.05.2020 09:53 #
Witzig, genau das Album hab ich mir erst am Wochenende bei den CD-Sonderangeboten im Saturn abgestaubt. :smile:
Amano
@Chemical Brothers:
Beim Lesen dachte ich mir: „hm, irgendwie hatte ich das anders in Erinnerung“ :hm:

Aber es war ja nicht alles Verarsche in deiner Beschreibung. Dieses Album ist wirklich ganz groß. Und ja, mitunter soundschichtentürmende Sounds, die man von diesen Jungs zu dem Zeitpunkt nicht erwartet hätte. Reinen BreakBeat gibt‘s woanders. Dieses Album gefällt sicherlich auch vielen hier, die eigentlich mit Elektronik nicht so viel am Hut haben.

Top :thumbsup: