Spiritualized –
Ladies and Gentlemen We Are Floating in Space (1997)
#10 #number one #greatest rock band
Erinnert ihr euch an den Sommer 1997 und an unseren kurzen Aufenthalt in Camelot?
Nun, das sollte ein blöder Witz über Nostalgie sein, aber für die meisten Musikfans eines bestimmten Alters und einen bestimmten zartem Empfinden, ist es vielleicht ein bittersüßer Witz. 1997 ist das Jahr von Radioheads
OK Computer, Björks
Homogenic, Elliott Smiths
Either/Or, Erykah Badus
Baduizm, Godspeeds
F#A#?, Daft Punks
Homework, Blink-182's
Dude Ranch, Nick Cave and the Bad Seeds
The Boatman’s Call, The Prodigys
The Fat of the Land, Foo Fighters
The Colour and the Shape, Mogwais
Young Team, Deftones
Around the Fur, The Verves
Urban Hymns, Wu-Tangs
Wu-Tang Forever und Primal Screams
Vanishing Point. Es war das Jahr, als die Welt noch die Romantik kannte, bevor Musik vorhersehbarer und kodifizierter wurde, als sie populärer wurde. Dass Internet würde bald auftauchen und jeden zu einem sofortigen Experten machen. Um unsere Vorstellung von historischen Erzählungen zu überprüfen, zerlegte man noch die gesamte Geschichte der Popkultur in einen unendlichen Würfel und musste die Einzelteile jeder Ära wieder mühselig zusammenführen. Diese Zeit und die Romantik von der ich rede ist jetzt wohl Geschichte. Romantisch war die alte Welt und wir werden das so nicht mehr bekommen, wenn nicht eine Tragödie zuschlägt. Wir haben jetzt weniger Tragödien und Verluste. Das Problem mit Kindern ist heute, dass sie keine Probleme haben. Wir sind so sehr mit dem Internet und mit Handys verbunden und haben die Antwort auf alles bereits in der Hand. Es gibt kein Geheimnis mehr – es starb mit verzweifeltem Herzen und zugeschnürter Kehle um abscheulicher Geheimnisse willen, die nicht dulden, dass man sie enthüllt. Die Romantik ist tot und wir haben nicht mehr dieses unverbundene, das wir hatten, als ich aufwuchs – was ja in Ordnung ist. Das Todesrasseln der alten Welt und das alte romantische Empfinden für Musik sind verschwunden.
Kommen wir auf die Geschichte des Albums zurück. Jason Pierce, der Spritualized-Frontmann, hat alles in das dritte Album seiner Band gesteckt, denn er hatte Herzschmerz und herzschmerzbedingte Drogenanfälle, die wieder zu drogenbedingten Depressionen führten. Unbekümmert gesagt, ein Teufelskreis. Es ist ein offenes Geheimnis:
"my girlfriend left me for the lead singer of the Verve, so now I have to shoot all this heroin." Vermutlich liegt da auch schon der Hund begraben, warum OK Computer heute das beliebtere Rock-Album ist. Dies klingt zugegebenermaßen banal, doch der Schmerz von Jason Pierce macht dieses Album zu einer wirklichen Offenbarung, denn jeder fürchtet sich vor der Einsamkeit. Geh einmal in eine psychiatrischen Anstalt oder eine Fabrik, setz dich in einen Bus oder eine Mensa. Überall siehst du Menschen, die unglaublich allein sind. Ich zittere richtig, wenn ich an all die Stimmen denke, die sich einsam erheben wie Angeln in der Luft, chancenlos. Und sie werden alt, körperlich alt und die Herzen bekommen Löcher wie ein altes Akkordeon. Ich habe nichts als Respekt vor Jason Pierces Arbeit, denn er hat das Wunder geschafft, für das man die Jahrzehnte davor viele Münzen in die Jukeboxen steckte. Jason Pierce hat sich gegen dieses wahllose Massaker erhoben:
"Let's have a full orchestra in here to do this space rock shit", "Whatever junkie, let's do it". Die Verbindung von Rock'n'Roll mit klassischer Komposition - er war derjenige, der es wirklich geschafft hat, als man solche Platten noch machen konnte.
Ladies And Gentlemen ist im höchsten Maße pure Glückseligkeit. Als hätte man nach Wochen eine Grippe überstanden – allein schon zu atmen, ist eine Lust, und vieles von dem, was sonst eine Quelle des Missvergnügens ist, bereitet plötzlich Genuss. Jedes Element von Spiritualized ist erhaben: Free Jazz ("The Individual"), pulsierender Space Rock ("I Think I'm In Love"), Songs mit gebrochenen Herzen und Orchester-Pop ("Broken Heart") oder Shoegaze ("Stay With Me"). Dieses Album war immer dazu bestimmt, meine Nummer 1 zu sein.
Ladies and Gentlemen We Are Floating in Space sollte man in vollen Zügen hören, in einer Stimmung der schärfsten Aufnahmebereitschaft, wenn der Geist wie elektrisiert seine alltägliche Verfassung übertrifft wie das lebendige, erst dann macht man selbst die Erfahrung eines veränderten Zustands, – oder wie der Heroinhändler / -konsument im Film Rush sagte: "It’s like floating on a cloud of titties."
Der kurze Aufenthalt in Camelot war doch eigentlich ganz nett – nächstes Jahr mal wieder?