Jeder hat so eine Band, die er für völlig unterschätzt hält. Meine sind He Is Legend. Geboren im Screamo/Metalcore der frühen 2000er, gestählt in den Sümpfen des Sludge ihrer Heimat. Seit einer Dekade DIY unterwegs (mit Indielabel-Unterstützung) und so selbstverständlich in ihrem Sein, dass selbst schwächere Alben (was der Vorgänger für mich war) immer noch den Mittelfinger an die Kollegen hochgekurbelt bekommen. Der Schlüssel liegt im heftigen Rifffest und den südlichen Grooves. Das wäre ein gefundenes Fressen für jedes Hardcore Shouting. Letzterem geht Schuylar aber nur noch rudimentär nach, in erster Linie croont Croom (wollte ich schon immer mal in der Reihenfolge bringen) seine weirden Texte drüber. Die Kombi knallt die erste Hälfte des Albums derart gut, dass die leichten Durchhänger hinten raus im Nachhall locker so stehen bleiben können. Es ficket gar sehr, dieses Album.
04. Soul Glo - Diaspora Problems
Die Bad Brains der 20er (weird, das so zu schreiben), meine Damen und Herren! Mit allem was man sich bezüglich des Klangbilds so vorstellen kann, hätten die sich jetzt gegründet. Ätzender Hardcore-Punk trifft auf Rappassagen, die sich in der Mitte des Albums sogar zu einem wallshaking Hip Hop-Track bündeln. Elemente aus Noiserock und sogar Grindcore stellen keine Hürde dar, Trompeten hinten raus sowieso nicht. Die Stimmbänder und kardiopulmonale Zusammenarbeit von Pierce Jordan mal gleich gar nicht, der Typ arbeitet offenbar freiberuflich als Ersatzluftpumpe für Traktorreifen. Ob das alles anstrengend ist? Na aber Hallo! Dafür wurde Punk doch entwickelt, oder nicht?
03. Imperial Triumphant - Spirit Of Ecstasy
Wie läuft eigentlich Songwriting in so einer Band bei Proben ab?
Gitarrist: "Ey ich bin heute morgen mit meinem Autoschlüssel versehentlich am Ofen vorbeigeschrappt, da hab ich jetzt dieses chromatische Riff draus gemacht."
Drummer: "Sehr gut, darunter legen wir nun Taktskalen auf der Grundlage der ersten 12 Stellen nach dem Komma in Pi. Aber was spielen wir in 20 Sekunden dann?"
Bassist: "Ich hätte da eine Idee für einen 40-stimmigen chinesischen Militärchor, der diese eine Disneymelodie rückwärts singen könnte, warte, ich programmier das mal schnell am Mac. Für die Aufnahme brauchen wir die aber dann im Original!"
Oder? Anders kann das nicht klappen. Imperial Triumphant stehen im Lexikon bei Avantgarde Metal mit Bild an erster Stelle und danach kommt lange nix. Ich bin Fan. Ich will diese unmenschlich schrägen Riffs, die freejazzigen Bassläufe, das Schlagzeug aus dem John Zorn Hades. Ich will diese unwirtliche Atmosphäre. Ich will den Saxophon-Unfall von Kenny G in "Metrovertigo". Ich will das, wie Voivods Snake und Yoshiko Ohara von Bloody Panda sich in "Maximalist Scream" komisch angucken. Wie sich diese verwunschene Melodie durch "Tower Of Glory, City Of Shame" zieht. Wie "Bezumnaya" die grossen Alten erweckt. Wie sie mal einfach einen blanken, rein instrumentalen Freejazz-Song dazwischen packen. Ich will, ich will, ICH WILL! Ich kriege.
02. Hippo Campus - LP3
Wann merke ich, dass ein Album besonders wichtig für mich war in einem Musikjahr? Wenn es mich permanent begleitet, klar. Wenn es mich emotional erwischt, logisch. Im besten Falle beides, aber es gibt manchmal noch ein Extra: Wenn ich die Band chronologisch rückwärts höre, mir alle Alben hole, feststelle dass der alte Scheiss sogar noch besser ist und wie unfassbar gut die live sind. Das soll "LP3"s Qualitäten nicht schmälern, denn das hier war der grosse Klick. Der Indie-Rock/Pop ist auf Alben gerne etwas verfremdet, elektronisch durchsetzt. Jede Menge Effekte, aber im Kern clevere Songs mit weit mehr Tiefgang als man der Oberfläche ansieht. "Ashtray" ist ein verfluchter Hit und hätte die Tanzflächen der Indiedissen 2005 rasiert. "Boys" aftershaved direkt hinterher. "Scorpio" und "Semi-Pro" klingen wie thinking man's Sugar Ray und "Listerine" säuselt einem derart verführerisch Bondagefantasien ins Ohr, dass wir aber mal ganz knapp vor 'ner Anzeige stehen, meine Herren! Kein Album konnte ich so gut meiner Frau antun, keins begleitete mich selbstverständlicher durch den Alltag und blitzte kurze Songpassagen in meinen Schädel, die mir mindestens 3 Sekunden Eskapismus beim täglichen Gang über Intensivstationen ermöglichten. Danke, ihr guten Typen. Nur, was soll jetzt noch kommen?...
01. The Callous Daoboys - Celebrity Therapist
...Na die beste Mathcore-Band at this time on this planet. Wir wussten seit "Die On Mars" was sie können und waren trotzdem nicht gefasst auf dieses Kreativfeuerwerk. Jaja, DEP und dissonanter Metalcore, Kinderspiel. Kriegt ihr hin ohne auch nur einmal die Gitarre zu stimmen. Aber die Tool-Bassline mit Alt. Rock Schluckauf im übermenschlich grossen "Title Track"? Das Biffy Clyro-Gedächtnis-Ständchen in "What Is Delicious? Who Swarms?"? Der Noiserock-Knutsch mit cheesy Schönklang-Crescendo namens "Star Baby"? Das habt ihr uns doch mit Absicht vorenthalten! Okay, den Verstand auf Flamenco-Gitarren verlieren ("Field Sobriety Practice") habt ihre euch von No. 12 geklaut, aber holy shit - kein Album dieses Jahr hat mich so verrückt beim Windmillen kichern lassen. This is the shit right here, 2022 couldn't get any better.
Zuletzt geändert von Powder To The People